Stellungnahme des Paritätischen Wohlfahrtsverbands Berlin zu den KoalitionsverhandlungenBerlin, 8. November 2016 Bundesweit steigen die Sozial- und Transferausgaben. Dies spiegelt sich auch im Landeshaushalt Berlins wider. So beziffert die Senatsverwaltung für Finanzen die Steigerung bei entgeltfinanzierten Leistungen für die Jahre 2006 bis 2015 auf 64 Prozent. Die weiterhin wachsenden Aufwendungen in den Bereichen der Jugendhilfe, der Eingliederungshilfe und der Pflege sind ein Thema, das auch den Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin seit vielen Jahren beschäftigt. Es ist unser Anspruch, knappe gesellschaftliche Ressourcen verantwortungsvoll und transparent einzusetzen. Die Steuerung dieser Ausgabenbereiche ist für die anstehende Legislatur eine entscheidende Gestaltungsaufgabe, die nur mit den Verbänden und Trägern gemeinsam gelöst werden kann. Wir rufen zur Versachlichung der Diskussionen auf und wenden uns gegen Behauptungen wie, die Ursachen für die Steigerungen seien zum Beispiel „kostentreibende Einzelverhandlungen“ der Fachverwaltungen oder gar „missbräuchliche Mittelverwendung“ bei Trägern der Sozialwirtschaft. Die wesentlichen Ursachen der Ausgabensteigerungen im Jugend- und Sozialbereich sind sowohl politisch gewollte und gesetzlich vorgegebene Investitionen in Erziehung und Bildung als auch Folgen einer wachsenden und sich demografisch verändernden Stadt.
Wir warnen davor, diese Entwicklungen politisch zu instrumentalisieren und damit gesellschaftlich zu polarisieren. Ein Bild von den ungebremst steigenden „Sozialausgaben“ verdeckt zudem völlig den aus diesen Investitionen rührenden Standortvorteil der Stadt, ihre Attraktivität für Familien und die Möglichkeit, Elternaufgaben und Berufstätigkeit zu verbinden. Es ist unredlich, diese Investitionen in Bildung und Erziehung als „haushaltsmäßigen Schaden“ oder als „Steuerungsproblem der Sozial- und Transferausgaben“ hinzustellen. Bereits 2011 vereinbarte die damalige Große Koalition vor dem Hintergrund der steigenden Ausgaben, bei der Senatsverwaltung für Finanzen eine „Entgeltstelle Soziale Dienste“ (ESD) einzurichten, mit dem Ziel, die Sozialausgaben besser zu steuern. Wie die Zahlen zeigen, mit bescheidenem Erfolg. Wenn jetzt erneut darüber nachgedacht wird, den Druck auf die Leistungserbringer zu erhöhen, anstatt mit ihnen gemeinsam die Ursachen zu bekämpfen, wird dies den Diskussionen und Erkenntnissen der letzten Jahre nicht gerecht. Die Ausgabensteuerung in den sozialen Bereichen ist primär eine fachliche Aufgabe, die mit dem „Fallmanagement“ angegangen wird: Wie kann verhindert werden, dass immer mehr Menschen zu „Hilfefällen“ werden, wie können informelle, vorgelagerte Unterstützung-Systeme gestärkt, Kräfte der Selbsthilfe aktiviert werden? Wie wird Über-, Unter- oder Fehlversorgung vermieden? Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin hat mit verschiedenen Vorschlägen und Aktivitäten seine Bereitschaft zur Mitwirkung bewiesen. Beispiele dafür sind das landesweite Psychiatrie-Budget, die von uns unterstützte und vertraglich vereinbarte Initiative Transparente Zivilgesellschaft oder die unterschiedlichen Rahmenverträge mit klaren Transparenz- und Prüfungsregelungen mit dem Land Berlin. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin plädiert für fachlich basierte Steuerungsmodelle, die als Gemeinschaftsaufgabe in der anstehenden Legislatur umgesetzt werden. Ein Beispiel dafür könnte die Umsetzung des Bundesteilhabe-Gesetzes werden, dass die Chance für eine fachliche Neuausrichtung mit gleichzeitig erheblichen haushaltmäßigen Effekten eröffnet. Die Versorgung von Flüchtlingen im Jahr 2015 hat klar gezeigt, dass nur im gemeinsamen gesellschaftlichen Engagement mit der Zivilgesellschaft soziale Herausforderungen lösbar werden. Der Paritätische Wohlfahrtsverband Berlin appelliert an die Koalitionspartner, an diese Erfahrung der Partnerschaft vom letzten Jahr bis heute anzuknüpfen und sie ihrem Handeln zu Grunde zu legen. Auf diese Weise kann eine Balance zwischen der Vermeidung sozialer Not und einer fachlichen Steuerung der Ausgaben im Landeshaushalt gefunden werden. Eine wachsende und durch Veränderungen herausgeforderte Stadt braucht zur Bewältigung sozialer Spannungen und Probleme die Partnerschaft. Wir stehen dafür zur Verfügung.
Die Stellungnahme des Paritätischen Landesverbandes Berlin finden Sie im Anhang. |
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