INTERKULTURELLE ALTENHILFE IN BERLIN - EMPFEHLUNGEN FÜR EINE KULTURSENSIBLE PFLEGE ÄLTERER MIGRANTINNEN UND MIGRANTEN

Die Senatsverwaltung für Arbeit, Integration und Frauen informiert über die Interkulturelle Altenhilfe in Berlin und Empfehlungen für eine kultursensible Pflege älterer Migrantinnen und Migranten

PRESSEMITTEILUNG:

Nach Schätzungen von Fachleuten wird die Zahl der Migrant/innen, die älter als 60 Jahre sind, im Jahre 2030 wahrscheinlich bundesweit auf 2,8 Millionen anwachsen. Demographie und Statistik sprechen eine eindeutige Sprache. Schon jetzt haben 9,5% aller Berlinerinnen und Berliner, die 65 und älter sind, einen Migrationshintergrund. In der Perspektive bedeutet dies einen großen Handlungsbedarf im Bereich der Regeldienste für ältere Menschen und generell sozialer Einrichtungen in der Seniorenarbeit. Politik, Verwaltung und Wohlfahrtsorganisationen beschäftigen sich seit mehreren Jahren damit, wie älteren Migranteninnen und Migranten einen besseren Zugang zur bestehenden, breiten Palette von Angeboten erhalten. Obwohl Fortschritte erkennbar sind, gibt es weiterhin Nachholbedarf. Vor diesem Hintergrund hat die Beauftragte des Senats für Integration und Migration, Monika Lüke ein Gutachten zu Bedarfen im Bereich der interkulturellen Altenpflege in Auftrag gegeben.

Monika Lüke: „Immer mehr Migrantenfamilien stellen sich die Frage, wie Angehörige im Alter versorgt werden sollen, wenn Kinder und Familie diese Aufgaben nicht bewältigen können.

Unkenntnis über die bestehenden Angebote für Seniorinnen und Senioren ist weit verbreitet, auch bestehen Unsicherheit und Ängste, ob die Hilfsangebote den Bedürfnissen von Migrantinnen und Migranten überhaupt gerecht werden. Mir ging es darum, konkrete Daten zu ermitteln, wo sich die Ansprüche und Bedürfnisse von Migrant/innen und Alteingesessenen unterscheiden.“

Das Gutachten wurde Ende 2013/Anfang 2014 von der Camino – Werkstatt für Fortbildung, Praxisbegleitung und Forschung im sozialen Bereich gGmbH erarbeitet. Es ermittelt aus der Perspektive von älteren Migrant/innen der ersten Einwanderergeneration und ihren pflegenden Angehörigen sowie Migrantenselbstorganisationen die Bedarfe und Ressourcen im Bereich der Altenpflege sowie die Probleme und die Barrieren des Zugangs zu den Angeboten und Institutionen der Altenpflege. Es ist auf der Basis von qualitativen Interviews erarbeitet worden. Zudem wurden Handlungsempfehlungen für die interkulturelle Altenpflege entwickelt, die mit Expert/innen aus Migrantenselbstorganisationen und Vertreter/innen von interkulturellen Angeboten erörtert und abgestimmt wurden. Die Autorinnen sind Dorte Schaffranke und Victoria Schwenzer unter Mitarbeit von Halil Can, Luzie Heidemann und Verena Mörath.

Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick:

Auf welche Ressourcen greifen Migrant/innen zurück?
Die Familie ist die zentrale Ressource bei der Bewältigung von Pflegebedürftigkeit. Das heißt, es sind häufig die Ehepartner, Töchter und auch die Söhne, die die Pflege mit großem Engagement leisten, nicht selten auch unter Einschränkung der eigenen Berufstätigkeit. Darüber hinaus mobilisieren die Familien auch nachbarschaftliche Netzwerke und transnationale Ressourcen und entwickeln transnationale Pflegemodelle, bei denen die Netzwerke nicht nur in Deutschland, sondern auch im Herkunftsland in die Pflege eingebunden werden. In den Communities und Migrantenselbstorganisationen gibt es Vorreiterinnen und Visionärinnen, die innovative Ideen entwickeln und zum Teil auch umsetzen, wie z.B. die Gründung des interkulturellen Hospizdienstes.

Was wünschen sich die Betroffenen und welche Bedarfe formulieren die Expert/innen?
Der Kenntnisstand zum Versorgungssystem ist eher gering. Pflegebedürftige wissen teils nicht über ihre Ansprüche Bescheid oder haben Schwierigkeiten, diese gegenüber der Pflegekasse durchzusetzen, teils auch wegen sprachlicher und bürokratischer Barrieren. Expert/innen stellen zudem einen Bedarf an diversitätsbewusster Öffentlichkeitsarbeit von Beratungs- und Informations-angeboten fest. Ein guter Weg, den Kenntnisstand zu verbessern, ist die Schulung von Multiplikator/innen aus den Communities. Pflegende Angehörige wünschen sich mehr Unterstützung in psychosozialer und pflegerischer Hinsicht. Zudem sollten auch Selbsthilfepotentiale pflegender Angehöriger gefördert werden, um Isolation zu überwinden, in Austausch zu treten und sich gegenseitig zu unterstützen. Grundsätzlich werden kultursensible Pflegeangebote gewünscht, bei denen der individuellen biografischen Situation der Pflegebedürftigen Rechnung getragen wird, wie z.B. Essgewohnheiten, Hygienevorstellungen, religiöse Besonderheiten und Medienkonsum. Außerdem werden gemeinschaftsorientierte Wohnmodelle gewünscht, die Alternativen zu stationären Angeboten bieten. Es besteht ein starker Wunsch nach muttersprachlichen ambulanten Pflegeangeboten, um die häusliche Pflege durch die Familie zu unterstützen. Hier gibt es Anzeichen dafür, dass es eine wachsende Anzahl an muttersprachlichen ambulanten Dienstleistern für verschiedene Migrantengruppen gibt.

Die Rolle der Migrantenselbstorganisationen als Akteure im Themenfeld sollte gestärkt werden. Pflegebedürftige und ihre Angehörigen bemängeln, dass die Migrantenselbstorganisationen das Thema Altenpflege noch zu wenig auf ihrer Agenda haben. Allerdings fehlen den Migrantenselbstorganisationen die Ressourcen dafür. Bisher spielen sie eine Rolle als Kooperationspartner, z.B. von Beratungsinstitutionen wie den Pflegestützpunkten. Sie sollten zukünftig selbst auch verstärkt Träger von Projekten werden. Weiterhin sollten Migrantenselbstorganisationen stärker als bisher in den Fachdialog zwischen Behörden, Pflegeangeboten, Wohnungsunternehmen etc. eingebunden werden.

Das Fazit der Integrationsbeauftragten: „Interkulturelle Kompetenz und interkulturelle Sensibilität werden in Zukunft weit stärker von den Angehörigen der Hilfs- und Pflegedienste verlangt und erwartet werden, als es jetzt bereits der Fall ist. Mehrsprachigkeit gehört dazu, die Einbeziehung unterschiedlicher Kulturen und Traditionen, Ernährungsgewohnheiten und religiöser Überzeugungen. Kulturelle Sensibilität heißt in der Praxis aber nicht, dass für Angehörige anderer Religionen oder Kulturen immer ganz besondere Extra-Angebote bereit gehalten werden müssen. Was niemand will, ist, dass Nicht-Deutsche vorschnell auf eine bestimmte ethnisch-kulturelle Identität festgelegt werden. Unsere Gesellschaft ist in den letzten Jahrzehnten immer vielfältiger und interkultureller geworden. Diese Erfahrungen müssen auch in die Arbeit mit Seniorinnen und Senioren einfließen. Es gilt, die Regeldienste für alle Angehörigen der veränderten Gesellschaft zu öffnen, nicht alte Menschen mit Sonderregelungen zu isolieren.“

Die Broschüre Interkulturelle Altenhilfe in Berlin Empfehlungen für eine kultursensible Pflege älterer Migrantinnen und Migranten steht nebenstehend als Download zur Verfügung und ist auch erhältlich unter

Beauftragten des Senats für Integration und Migration
Potsdamer Straße 65, 10785 Berlin
Tel.: (030) 9017 2357 oder 9017 2351
Fax: (030) 9017 2320
E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Weitere Informationen und Downloads auf den Internetseiten der Integrationsbeauftragten unter:

http://www.berlin.de/lb/intmig/publikationen/ikoe/index.html

verknüpfte Artikel:

 Berlin - Gutachten zu Bedarfen im Bereich der interkulturellen Altenpflege

 

Downloads:

  pdf  Interkulturelle Altenhilfe BF_03

 

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Kategorie: themenübergreifend allgemein
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